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Dienstag, 3. Oktober 2017

QUICK & DIRTY: MAURICE & DIE FAMILIE SUMMEN / BMERICA

Published: 06.10.2017
Label: Staatsakt
Genre: GermanFunk, GermanPolitDisco, DiskursFunk
Country: Berlin, Deutschland



Members:
Maurice Summen und Familie (Michael Mühlhaus [Blumfeld, Türen], Ramin Bijan [Türen], Kryptic Joe [Deichkind], Ill Till, Philipp Grütering [Deichkind], Patric Catani, Jérôme Bugnon und Tobi Cordes [Seeed], Moritz Baumgärtner, Susanne Folk (Saxofon), Richard Koch [Trompete], Jari Freydank [Perkussions, Gesang], Sportsmann Felix Müller.

So manche Künstler verschönern mir ab und an den Tag, aber bei Maurice Summen müsste ich eigentlich schon davon sprechen, dass er mir die letzten Lebensjahre versüßt hat. 2003 gründet Summen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg das Plattenlabel Staatsakt, um deutschsprachige Popmusik aus dem Schatten wieder ins Licht zu führen – wohlgemerkt anspruchsvolle deutsche Popmusik mit intelligenten Texten, also weit ab vom die Charts infiltrierenden Schlagermist.

Eigentlich war Staatsakt hauptsächlich dafür gedacht, der eigenen Band Die Türen ein Zuhause zu geben, aber schnell entwickelte sich das Label für experimentierfreudige und andersartige Bands zu einer neuen Heimat. Im Staatsakt-Hafen ankern mittlerweile Freigeister wie Ja,Panik, Christiane Rösinger, Locas in Love, Jacques Palminger, Isolation Berlin, Die Sterne, Die Regierung, Jens Friebe, PeterLicht, Hans Unstern, Frank Spilker, Stereo Total, Andreas Dorau, Nicolas Sturm, Babyman und zunehmend auch deutsche Bands, die in englischer Sprache singen, wie Bonaparte, Klez.e, Levin goes Lightly oder Friends of Gas.

Nicht genug damit, dass viele dieser Bands in den letzten Jahren mit herausragenden Alben aufwarteten, gründete der umtriebige Herr Summen mit einigen seiner Labelgenossen die Formation Der Mann und startet nun das auf Tour 9 Mann starke Großprojekt MAURICE & DIE FAMILIE SUMMEN.

Auch wenn Disco-Funk-König Babyman aka Erobique nicht mit von der Partie ist - was man wirklich kaum glauben mag - zelebriert die Familie Summen eine echte P-Funk-Party, wie man sie in deutscher Sprache und mit solch höchst politischen Texten wahrlich noch nie gehört hat. Tanzen für den Widerstand ist das ausgegebene Motto auf "Bmerica"!

"Bmerica"? Schlechtes Wortspiel? Nicht, wenn man die Geschichte hinter dem Albumtitel vom Staatsakt-Pressetext kennt:

"Der Albumtitel Bmerica steht seit Jahren, er war die Ur-Hefe, aus dem das Album wuchs und ist dabei erst über Zeit prophetisch geworden. Zunächst begann er als Gag: wer A sagt muß auch B sagen, das gilt für A-dolf, wie A-bendessen wie für A-merika.

Was dieses B wiederum impliziert ist Verhandlungssache: wir alle kennen und lieben B-Movies, kennen Beta-Versionen, diese fehlerhaften (Software-)Systeme, kennen die B-Seiten von Singles, die oft den eigentlichen Hit enthalten.  Die Vorsilbe B etwas, was danach kommt, darunter liegt, eine schlechtere oder eben auch verbesserte Version von A darstellt, ein Mängelexemplar und manchmal auch eine Utopie – aber so oder so auf eine weitere andere Version desselben Prinzips hinweist. Abgesehen davon ist im englischen das phonetisch mit B identische Be auch das wichtigste Verb der Sprache: sein. Bmerica = Merika sein.
"

Der Albumopener "Zeichen des Widerstands" ist eine fette Funknummer mit lässigem Groove, der textlich zurückblickt in "Die gute alte Zeit" und musikalisch an Funkadelic oder Cameo erinnert.  Eine Message hat der Song auch, sie klingt einfach und romantisierend, ist aber in diesen politischen Zeiten ganz besonders wichtig: The Code is Love! Der falsche Code = Scheiße!



Mit seiner Band Die Türen ist Herr Summen ja auch kein Funk-Verächter, aber mit seiner neuen Großfamilie ist er so entschlossen funky wie nie zuvor. Beim gesellschaftskritischen "Nicht antworten ist das neue Nein" setzt Funksohn Summen, der im Münsterland als Sprössling eines Soul & Funk-DJs aufgewachsen ist, auf Hand-Claps und den eigentlich ausgelutschten Auto-Tune-Effekt. Ich höre und staune und verneige mich vor dem grandiosen, in Bläser und Flötentöne getränktem Finale.

Bongo-Disco und SpaceFunk kreuzen die Laserschwerter bei "Die Kommerzialisierung der Welt". Klingt wie ein Hybrid aus Dee D. Jacksons "Automatic Lover" und einem Funkepos von War. Ja, das ist verdammt Retro, aber macht einfach auch verdammt viel Spaß und ich glaube es ist egal, ob man damals schon die Hüften auf dem Tanzflur kreisen ließ oder ob man sich erst jetzt gerade die Hörner unter der Discokugel abstößt.

Das erste Stück, zu dem man die Füße stillhalten, aber nicht den Kopf ausstellen sollte, ist "Klima". Das Keyboard fliegt zwar immer noch im Space, aber der Sprechgesang erinnert von der Dramaturgie eher an "Ruf Teddybär Eins-Vier" oder das "Spanky"-Jazzalbum von Jaques Palminger & 44 Hz Trio. I call it SpaceJazzBlues.

MC Summen am Mic! Es wird gerappt bei "Zeit zurück", nicht nur von Maurice, sondern auch von Deichkinds Kryptic Joe - und der kann das natürlich besser.



Einer meiner Favoriten auf "Bmerica" ist "Traurige Gesichter. All diese traurigen Menschen an den Bushaltestellen, in der Bahn und auf den Bürgersteigen sollten diesen Song auf die Ohren bekommen, damit Maurice beim nächsten Gang durch seine Stadt nur noch wippende und lächelnde Menschen zu Gesicht bekommt. Let's groove today!

"#Bock" ist auf einem starken Album die schwächste Nummer, der Refrain ist etwas zu Lalala, allerdings kann ich mir vorstellen, dass der Song live eine andere Wirkung entfaltet. Ansonsten Groove und Bläser knackig wie einst bei Defunkt und ein bisschen elektronisches Fiepsen wie bei Deichkind.

Aber nach dem schwächsten folgt direkt das stärkste Stück. "Die feindlichen Gedanken" schwellen im Bongo-Fieber und grooven sich dann die Seele aus dem Leib. Aber bei all dem Groove nicht vergessen, den exquisiten Lyrics Tribut zu zollen!

Die nächste Nummer trägt im Titel eine Forderung, die ich uneingeschränkt teile: "Recht auf Unerreichbarkeit". Der SlowJam mit Jazz-Appeal spricht mir so was von aus der Seele und deswegen plädiere ich dafür, den Song ab sofort in dem privaten Haushalt mit Warteschleifenmusik gemafrei einstellen zu dürfen. Ist doch auch in Ihrem Sinne Herr Summen, oder?

Der letzte Song, "Ich und meine multioptionale Gesellschaft" ist sehr Türen-mäßig :-). Ein pochendes musikalisches Manifest, über mehr als 8 Minuten, welches die Redewendung "Wer die Wahl hat, hat die Qual" mit der multioptionalen Gegenwart und der vermutlich noch multioptionaleren Zukunft zusammenbringt und somit schmerzhaft verdeutlicht, wie schmerzhaft dieser Prozess der Auswahl sein kann - und vermutlich noch schmerzhafter werden wird.

Fazit: Maurice & die Familie Summen sind die einzig wirklich echte Party-Partei, immer mit geschärftem Blick auf die Gesellschaft, voller Parolen und dabei immer eeeextrem tanzbar!

Tracklist:
01 Zeichen des Widerstands
02 Nicht antworten ist das neue Nein
03 Die Kommerzialisierung der Welt
04 Klima
05 Zeit zurück
06 Traurige Gesichter
07 #Bock
08 Die feindlichen Gedanken
09 Recht auf Unerreichbarkeit
10 Ich und meine multioptionale Gesellschaft

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